Die 10 Thesen des Dieter Rams in der Fotografie

Themenkomplex „Gute Bilder“ in der Fotografie. Was ist das überhaupt, ein gutes Bild? Wie kann ich ein gutes Bild erkennen? Viele fangen jetzt an und argumentieren mit irgendwelchen Gestaltungsregeln, horizontalen Verlauf des Horizonts oder sonstigen technischen Gegebenheiten. Will ich nicht, ich halte das bestenfalls für Teilaspekte in einer recht schwer zu fassenden Problematik. Schwer, weil bei der Beurteilung der Qualität eines Fotos immer die Erfahrung, Wahrnehmung, die Erwartung und Aufmerksamkeit des Betrachters mit einkalkuliert werden muss. Und diese Seite ist nun wirklich nicht als einheitlich zu bezeichnen.

Eine Sichtweise auf diese Problematik ergibt sich, wenn über den eigenen Tellerrand der Fotografie hinausgeblickt wird. Fotografie ist nicht der einzige Bereich, in dem Kreativität gefragt ist. , In diesem Fall in den Bereich des Industriedesign. Geräte entstehen nicht dadurch, dass man einige Kabel nimmt, sie an eine Pappschachtel anschließt und das Ganze dann versucht zu verkaufen. Hier spielen Funktion, die Handhabung aber auch ein ansprechendes Äußeres eine Rolle. Die Funktion, sie bestimmt den grundsätzlichen Aufbau. Die Handhabung, Geräte die nur schwer oder umständlich zu Bedienen sind, werden nicht verwendet. Natürlich spielt auch ein Ansprechendes Erscheinungsbild eine Rolle, Geräte und Apparate, sie befinden sich in unserer Umwelt, wir haben Kontakt zu ihnen.

Dieter Rams

Es lohnt sich also eigentlich immer, über den Rand des eigenen Fressnapfs zu blicken um zu sehen wie in anderen Bereichen, an anderen Orten oder zu anderen Zeiten Abläufe und Probleme betrachtet werden. Im Bereich Design, kommt man schnell auf Dieter Rams, Jahrgang 1932. Dieter Rams selbst ist Industriedesigner mit internationaler Reputation. Neben seinem Studium der Architektur und Innenarchitektur hat er noch eine Ausbildung als Tischler. Wer sich intensiver mit der Vita beschäftigen möchte, kann über seinen Wikipedia – Eintrag und die die Website der Firma Vitsoe einsteigen (Quellen). Jedenfalls kann der Mann in ein paar Minuten mehr zum Thema Design sagen, als ich in meinem Leben vergessen kann.

Anfang der 1970er Jahre hat er

10 Thesen zum guten Design

aufgestellt. Leitsätze, die heute, 50 Jahre später noch recht aktuell klingen:

  1. Gutes Design ist innovativ
  2. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar
  3. Gutes Design ist ästhetisch
  4. Gutes Design macht ein Produkt verständlich
  5. Gutes Design ist unaufdringlich
  6. Gutes Design ist ehrlich
  7. Gutes Design ist langlebig
  8. Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail
  9. Gutes Design ist umweltfreundlich
  10. Gutes Design ist so wenig Design wie möglich

Thesen sind Leitsätze, die sich auch auf andere Bereiche, in denen etwas entworfen wird, wie z. B. in der Fotografie, übertragen lassen.

Die Zeiten haben sich zwar geändert, Produktzyklen sind durch das Internet und aggressive Vermarktung von Neuware kürzer geworden, Diskussionen verlaufen nicht mehr zwangsläufig linear in übersichtlichen Personenkreisen, vom Kern her sind diese 10 Thesen aber immer noch gültig. Auch hat das Internet, insbesondere „Soziale Medien“ einen starken Einfluss auf Fotos, Hauptsache auffallen.


Übertragen auf die Fotografie

  1. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist innovativ
  2. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist brauchbar
  3. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist ästhetisch
  4. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist verständlich
  5. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist unaufdringlich
  6. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist ehrlich
  7. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist langlebig
  8. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist konsequent bis ins letzte Detail
  9. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist umweltfreundlich
  10. Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie hat so wenig Design wie möglich

Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist innovativ

Kernbegriff Innovation: Etwas neues erschaffen.

Innovation ganz einfach übersetzt: Etwas neues erschaffen. Nicht das alte, hergekommene aufwärmen. Sich nicht im Kreis zu bewegen.

Es gibt viele Gründe, die vorgeschoben werden können, um auf dem Lieblingsgleis zu bleiben. Ein bisschen vor, ein wenig zurück, jede Weiche zum fürchten! Langfristig bringt derartige Statik bestenfalls nur Frust, schlimmstenfalls eine Sinnkrise ein! Der Horde zu folgen ist immer recht einfach, die Masse bietet Anonymität, einen gewissen Schutz vor Fragen. Natürlich ist es immer mit einem Risiko verbunden, das jemand lautstark Schreit, was das soll, na und – das bisschen Souveränität sollte man sich gönnen!

Innovation beginnt bei einem selbst, Gegner ist die eigene Bequemlichkeit, mangelnde Selbstsicherheit, gelegentlich auch Versagensangst: Das habe ich immer so gemacht! Damit bekomme ich aber immer viele Likes im Fratzenbuch! Aber alle sagen, dass das so gemacht werden muss! Das machen andere auch so! Was soll denn der Schwippschwager des Bekannten meines Nachbarn dazu sagen!

Es brauchen keine weltbewegenden Neuerungen zu sein, die für Innovation sorgt, es reicht aus, sich zu öffnen, Themen aufzunehmen, auch wenn zunächst die Annäherung daran eine Weile dauert. Neue Sichtweisen suchen, sowohl von der fotografischen als auch von der inhaltlichen Seite aus. Den Mut dazu haben, einfach mal die fotografischen Regeln zu Hause lassen und frei Schnauze fotografieren. Nur um zu sehen, was dabei herauskommt. Letztendlich sind Fehler dazu da, gemacht zu werden.

Betrachte ich Innovation einmal aus der Brille eines (professionellen) Fotokäufers, der hat mit einiger Sicherheit bereits einen Bestand an Fotos zu dem Thema, die aber ihm aber nicht ausreichen. Die Bereitschaft steigt, das er ein Foto beachtet, wenn es ihm neue Aspekte liefert, sei es eine neue Sichtweise, eine spezifische Lichtstimmung oder sonst etwas.

Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist brauchbar

Kernbegriff Brauchbarkeit: Etwas verwenden zu können, die technischen und inhaltlichen Erwartungen als gegeben zu sehen.

  • Brauchbarkeit: Etwas verwenden können.
  • Brauchbarkeit ist stark an den Verwendungszweck gebunden.
  • Brauchbarkeit hat mehrere Ebenen: Technische, gestalterische und inhaltliche Anforderungen müssen erfüllt werden.
  • Die Brauchbarkeit ist vom Betrachter abhängig

Die Brauchbarkeit ist stark vom Verwendungszweck oder vom Genre abhängig. Dokumentations-, Reportage- bzw. Wissenschaftsfotografie haben andere Anforderungen als Glamour, Akt oder Fine Art. Während in der Reportage oder Dokumentation eine Bildbearbeitung tödlich sein kann, wird diese im Fine Art durchaus erwartet.

Die Brauchbarkeit eines Fotos / einer Fotoserie bezieht sich zunächst auf unterschiedliche Ebenen, neben dem Bildinhalt spielt die Erfüllung technischer und graphischer Kriterien eine starke Rolle.

Die technischen Anforderungen beziehen sich auf die Größe und Auflösung des Fotos und auf die handwerkliche Umsetzung der Aufnahme eine Rolle. Hierzu gehören z. B. die Schärfe der Aufnahme (Sind die richtigen Bildteile Scharf?), die Lage der Tiefenschärfe oder das Fehlen von Bildfehlern.

Zu den gestalterischen Anforderungen zählt die Sichtbarkeit des Motivs, der Bildaufbau, die Bildaussage u. ä.

Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist ästhetisch

Kernbegriff Ästhetik: Ein Foto oder eine Fotoserie sinnlich / emotional erleben zu können.

  • Ästhetik: Die Sinne berührend.
  • Die Emotionale Ebene einer Fotografie

Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist verständlich

Kernbegriff Verständlichkeit: Dem Betrachter etwas in die Hand (Auge) geben, das er erkennen / verstehen kann.

  • Verständlichkeit: Der Betrachter muss verstehen, begreifen was auf dem Foto gezeigt wird
  • Einen Ansatzpunk, bei dem der Betrachter ansetzen kann um das Foto zu Verstehen
  • Sollen Zusammenhänge dargestellt werden, müssen diese für den Betrachter erkennbar und verständlich sein.

Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist unaufdringlich

Kernbegriff Unaufdringlichkeit: Verzicht auch Dominanz.

  • Unaufdringlichkeit: Verzicht auf marktschreierische Elemente
  • Zurückhaltung mit rein plakativen Elementen

Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist ehrlich

Kernbegriff Ehrlichkeit: Das zu zeigen, was auch wahrgenommen wird.

Fotografie und Videografie müssen mit einem Widerspruch leben: Auf der einen Seite gelten Fotografien als so etwas wie ein Dokument, über einen technischen Weg aufgezeichnet und fixiert. Auf der anderen Seite: Fotos und auch Videos haben keine Historie, aus den Bildern ist (im Normalfall) nicht ersichtlich, wann, wo und unter welchen Umständen sie entstanden sind. Manchmal fallen gestellte Aufnahmen nur dadurch auf, dass der Fotograf sich zu eng an die Gestaltungsgrundsätze gehalten hat. Es ist auch in einem Tierpark möglich Fotos zu machen, die einer Szene in der Natur gleichen. Derartige Fotos sind durchaus ansprechend, haben aber einen anderen Wert.

Dazu kommt, dass Bildinhalte mit der Digitalisierung auch für Laien mit etwas Übung manipulierbar sind. Photoshop und Co. manchen es möglich. Als eine sehr einfache Manipulation kann z. B. die Dramatisierung einer Szene wie einem Wohnungsbrand durch erhöhten Kontrast des Rauchs sein. Digital ist es allerdings sehr einfach Bildinhalte zu entfernen und hinzuzufügen, für die Betrachter in ihrer Traumwelt. Über den fortschreitenden Einsatz Künstlicher Intelligenz, nicht nur bei der Bildbearbeitung sondern auch beim erzeugen von Bildern, möchte ich jetzt nicht Reden. Aktuell sind KI generierte Bilder noch erkennbar, es sollte aber nur ein Frage der Zeit sein, bis die Grenze verschwindet.

Das bedeutet nun nicht, auf eine Bearbeitung von Bildern zu verzichten. Im Bereich Fine Art, im künstlerischen Bereich ist das sowieso nicht relevant. Problematisch wird es bei Fotos mit Dokumentarischen Inhalt, hier sollte einem Betrachter nur klar sein, dass hier eine Änderung vorliegt.

Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie ist langlebig

Kernbegriff Langlebigkeit: Die zeitlosigkeit von Fotos und Fotoserien.

Ein gutes Foto / eine gute Fotoserie ist konsequent bis ins letzte Detail

Kernbegriff Konsequent: Sich bis ins Detail an die gleichen Regeln zu halten.

Konsequentes Vorgehen ist vor allem bei Fotoserien und anderen Fotozusammenstellungen ein Kriterium. Zusammengehörende Fotos sollten alle nach gleichen Kriterien aufgenommen und ausgearbeitet sein, ein gleiches Erscheinungsbild haben. Das gilt sowohl für technische Kriterien wie auch für den Inhalt: Kein Misch zwischen SW und Farbe, der Himmel sollte auf allen Bildern den gleichen Ton haben, Härte und Kontraste sollten vergleichbar sein um nur einige zu nennen. Inhaltlich sollten die Bilder zusammengehören.

Bedeutet nun nicht, dass alle Fotos gleich sind, aber Umbrüche und Abweichungen können dazu führen, dass die Kollektion nicht als Einheit wahrgenommen wird.

Ein gutes Foto / eine gute Fotoserie ist umweltfreundlich

Kernbegriff Umweltfreundlichkeit: Den ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten.

Alles was wir tun kostet, sprich es werden Ressourcen verbraucht, egal ob wir dafür bezahlen oder ob es der Gemeinschaft zur Last fällt. Umweltschutz fängt bei der Person hinter der Kamera an. In der Fotografie führen viele Wege zum Ziel, entscheidend ist, ob diese erkannt und genutzt werden. Muss ich mir für ein Projekt unbedingt neue Teile anschaffen, nur weil es wie in dem Video so demonstriert wurde? Oder kann ich den gleichen Effekt auch mit bestehender Ausrüstung umsetzen? Spart Geld und schützt die Umwelt!

Eine Überlegung gehört auch die Frage nach Kosten / Nutzen. Müssen im Hochgebirge Alpenveilchen zertrampelt werden, nur weil man einen halben Tag mit einem Mainstreamfoto im Fratzenbuch glänzen will?.

Ein gutes Foto / Eine gute Fotoserie hat so wenig Design wie möglich

Kernbegriff „Wenig Design„: Authentizität kennt keine Regeln.

  • Inszenierung des Bildinhaltes, Postkarten
  • Authentizität kennt keine Gestaltungsregeln
  • Design follows function

Einige der Punkte stehen im direkten Widerspruch mit dem gelebten Leben in sozialen Netzwerken.


Quellen

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